Samstag, 7. April 2012

Essaybeitrag Philosophie 2011/2012

Oscar Wilde – „The basis of optimism is sheer terror!“

Sonnenstrahlen hageln wie Insektenbisse auf meine Haut. Seine Augen zeigen eine Spur schieren Wahnsinns als Discordia droht, unsere Wege endgültig zu trennen. Wir stehen in einem ausgetrockneten Flussbett. Der geliebte Pessimist fordert kanisterschleudernd die sofortige Rückkehr zum Auto. Kopflos, orientierungslos und im Endeffekt sinnlos sind wir zum Fluss gehetzt, um zu finden, was uns am Leben zu erhalten vermag. „The source, Jared!“, I say. „The car!“, he answers. Der Himmel ist wolkenlos, die Landschaft verbrennt unter der Sonne, als würde aus entflammtem Sand in Bälde Glas erwachsen. „There´s no source in the East.“ „Shut up and get the can!“ Ich ziehe den im Sand weich gewordenen Plastikkanister aus dem Staub. Stein überlebt hier, Fleisch nicht eine Nacht. Er folgt. Der Weg zum Leben führt durch die Hölle. „You´d rather be waiting near the car, wouldn´t you?“ „It´s better than dying of thirst. We do have nothing to drink. Near the car? At least we´d have…“ „A car“, I answer. „and not to forget some fuel to drink.“ „Don´t you dare judging me! I´m just afraid for myself!“ Existenzangst. Seine zuckenden Mundwinkel betrachtend erinnert sich mein kaum mehr wahrnehmbares Ich an ein Zitat: „The reason we all like to think so well of others is that we are all afraid for ourselves. The basis of optimism is sheer terror.“ Irrational. Er folgt mir blind. Ich folge mir blind. Im Osten? Ist es Quelle oder Mündung? Es ist so windstill, dass das Flüstern in meinem Kopf zum Rauschen wird. Wir bewegen uns nicht mehr. Kommen weder vorwärts noch reicht seine Dickköpfigkeit aus, mich vom Weg zurück zu begeistern. Wieder Stimmen hinter meinen Augen. Verschwimmende Landschaft. Wir schwitzen nicht mehr und es wird Zeit. Die Sonne im Zenit und kein Wasser. Der geliebte Pessimist dreht durch und ich denke nach. Ist die „nackte Angst“ Grundlage für Optimismus, so ist geballte Heiterkeit wohl der Schlüssel zum Reich der Pessimisten. „My hands are numb“, he says. „I want to go back to the car now! There´s no source. It´s simply bad luck… Maybe we´ll find a camel to slaughter.”  „Maybe”, I say. Wir wissen beide nicht mehr, wo das Auto liegengeblieben war. Aussichtslos. Es geht weiter das Flussbett entlang in Richtung Quelle. Nur ein Tropfen Wasser… Moment… Richtung Quelle? Optimismus ist alles andere als zielführend. Für den geliebten Pessimisten ist das Unternehmen längst gescheitert. Es war schon dazu verdammt, als ich ängstlich quiekend nicht konkretisieren konnte, warum ich glaubte, der staubige Graben neben der Karre sei ein Flussbett. Und doch hat irgendwas uns bis hierher gebracht. Trieb? Was lässt uns durchhalten? Er will nicht mehr. Welche wundersame Komponente reduziert sich zusehends? „It´s senseless. There´s no source in the East!“, he repeats. Angst. Er hat keine Angst mehr. Wovor? Auslöser? Gegenstand unserer Angst? Unserer Motivation… des schieren Optimismus? Der Tod. „We can´t go any further.“ Stimmen hinter der Stirn… Die flirrende Welt verschwimmt in tausend Farben. Der Himmel war nie so blau… die Luft nie so klar. Zurück zum Wagen? Die Quelle finden? Heulend zusammenbrechen, wenn sich diese als Mündung entpuppt? Wir sehen uns an und lachen… Sunset. My breath fading… and voices whispering no solution at all.
Die nackte Angst steht wie kaum etwas anderes im Widerspruch zum Optimismus. Sie zu dessen Grundlage zu machen erscheint schlichtweg absurd. Der Philosoph Albert Camus beschäftigte sich im 20. Jahrhundert mit dem „Mythos von Sisyphos“ und beleuchtete, den Sieg des Bestraften über sein eigenes Schicksal. Doch wie kann es sein, dass Sisyphos seinem Schicksal überlegen ist? Der aussichtslosen Arbeit, den gewaltigen Stein wieder und wieder den Berg hinauf zu wälzen, wohl wissend, dass der Fels kaum angekommen wieder den Hang hinabstürzen wird, aufdass man ihn hole und die Qual von Neuem beginne? Laut Camus ist es an dieser Stelle wichtig, zu erkennen, dass die Tragik dieses Mythos darin liegt, dass Sisyphos bewusst ist. Der Held weiß also ganz genau, dass sein Martyrium nicht endlich ist, dass der Fels nie auf dem Gipfel verharren wird. Sämtliche Hoffnung auf Erfolg als Quelle neuer Kraft – gar als Quelle für Optimismus – bleibt somit aus. Doch wie könnte sich ein Mensch, der sich über etwaiges Scheitern bewusst ist, motivieren, weiterzumachen? Und wie kann Albert Camus zum Ende des „Mythos von Sisyphos“ schlussfolgern, dass der Bestrafte als „glücklicher Mensch“ vorstellbar ist? Wie soll uns die Aussicht auf Misserfolg erfüllen? Camus schreibt dazu: „[…] die niederschmetternden Wahrheiten verlieren an Gewicht, sobald sie erkennt werden.“ Heißt das, der geliebte Pessimist in der Wüste hat erkannt, dass die Suche nach Wasser erfolglos bleiben würde? Eine Sisyphos-Arbeit wäre? Aber müsste er nicht gerade dann weitersuchen? Sisyphos stemmt sich am Fuße des Berges gegen den Fels – der Pessimist allenfalls gegen meinen Willen. „Der Schlaue“ hat einst Götter und Tod überlistet, wurde bestraft und trägt seine Strafe. Ist es der gemeine Mensch also? Der emsig Arbeitende? Bedeutet das Beispiel des Sisyphos, dass die Arbeit selbst, die man selbst gewählt – selbst provoziert hat das eigene Herz erfüllen kann? Ohne das Ende absehen, den Sinn erschließen zu können? Albert Camus erklärt: „Gerade in diesem Augenblick, in dem der Mensch sich wieder seinem Leben zuwendet (ein Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt), bei dieser leichten Drehung betrachtet er die Reihe unzusammenhängender Taten, die sein Schicksal werden, seine ureigene Schöpfung, die in seiner Erinnerung geeint ist und durch den Tod alsbald besiegelt wird.“ Sisyphos erinnert sich, wofür er bestraft wurde und würde trotz aller Qual nicht von seinem Urteil abweichen. Er „lehrt uns die Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt.“
So ist die nackte Angst wohlmöglich doch eine annehmbare Basis für Optimismus? Nimmt man die Angst als solche und reduziert sie auf ihren Kern … ist die Angst dann noch als solche spürbar? „Ohne Schatten gibt es kein Licht“, erkannte Albert Camus einst. Mein Schicksal – und sei es der Tod – gehört mir allein. Ich habe mein Schicksal gewählt mit Hilfe jeder noch so nichtigen Entscheidung und mit dem Bewusstsein, worin es mündet. Mündung? Quelle? „There´s no source in the East!“ Wie recht er hat. Es ging nie um die Quelle der Misere – es ging immer um die Mündung. Wir kannten das Ende… doch nur er hat es nicht erkannt. Für ihn hat sie nie an Gewicht verloren – die Wahrheit. Wasser… wir kriechen hin zum Wasser oder wenigstens dahin, wo wir welches vermuten. „Und der Stein rollt wieder“. Der Weg zum Gipfel… der weg zum Wasser ist alles, was uns bleibt, was uns ausmacht. Der Gipfel… die Fata Morgana. Weiter durch den heißen Sand zu neuen Gipfeln… ewig. Sun burning, dunes crawling in the wrong direction … and voices whispering no solution at all.


Quelle: Albert Camus; Der Mythos von Sisyphos


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