Freitag, 4. November 2011

Someone call the ambulance...

…there´s gonna be an accident!
Und so war es auch. Es ist der 13.10.11.. mein zweiter Tag im Krankenhaus… Ich liege auf der Gynäkologischen… logisch- mir wurde ja auch der Blinddarm entfernt. Aus dem 3. Stock übers Ruhrgebiet blickend, sehe ich unweit der qualmenden Schlote einen Heißluftballon im Sonnenuntergang aufsteigen. Schwester Kohlekajal hat mir grad vor´m Klo aufgelauert, Schwester Blümchensex bewundert meine vornehme Blässe, während Schwester Sado mir brennende Salbe auf die verspannte Schulter schmiert und mich als „furchtbar zombig“ wahrnimmt. Mein ultrahighes Gehirn versucht unweigerlich nachzuforschen, ob das Wort „zombig“ im Zusammenhang mit vor Schmerz hechelnden Patienten  überhaupt gebräuchlich ist. Schwester Sado stellt mein heißersehntes joghurtfreies Abendessen hämisch grinsend auf den Besuchertisch – statt wie meiner Zimmergenossin auf das Essbrettchen unweit des Bettes. Es scheint, als wäre die Wurzel meines potenziell Bösen mit dem Körpergewebe entfernt worden, wobei ich mir nicht erklären kann, was mein diabolischer alter Ego im Blinddarm zusuchen hat. Dennoch sehe ich davon ab, Schwester Sado auf´s Maul zu geben. Brav hole ich das Tablett und fauche Schwester Blümchensex aus dem Zimmer. Pfefferminztee also… Das Menükärtchen zeigt: 1 Weißbrot, 1 Kassler, 2 Zucker, ¼ l Pfefferminztee, 1 Geflügelwurst, Streichkäse und 1-mal „Schonkost-Abendbeilage“, was in meinen Augen eher wie verdünnte Milcheiskotze aussieht… Unter der Auflistung wäre theoretisch genug Platz für ein herzliches „Fickt euch, wo ist mein Joghurt?!“. Ich pfeife mir also das Kassler mit der Geflügelwurst rein und hoffe, dass der Allgäuer auf Weißbrot besser schmeckt, als er aussieht. Die entspannte Kuh auf der Verpackung lässt Mut zur Hoffnung. „Das verdammte Zäpfchen ist immer noch geschwollen“, denke ich, als ich C1 in F1 schütte und dabei fast kotzen muss. Nach einem mäßigen Fressflash durchlebe ich eine ausgedehnte Periode des Schmerzes. Meine Zimmergenossin fängt plötzlich an, in ihr Oberbett zu pupsen: auch sie hat das Essenstablett entdeckt. Weiter in die Abendsonne starrend und hoffend, dabei besser taub als blind zu werden, lausche ich dem peinlichen Schmatzen und beobachte Soap-Darsteller auf RTL beim Geschlechtsverkehr. Meine Schulter brennt schon wieder und ich wittere die lauernde Anwesenheit von Schwester Kohlekajal. Als die Zimmertür mit dem Klopfen auffliegt und kurze Beinchen auf meinen Beistelltisch zustürmen, gelingt es mir noch gerade so, den radioaktiv leuchtenden Pfefferminztee vom Tablett zu retten, ehe Schwester Kohlekajal damit in den Flur verschwindet. Bei so viel Stress muss ich erstmal Pipi.

Nachdem meine Zimmergenossin mit dem Spucken eines immensen Schleimballs in Richtung Tür den Morgen des dritten Tages eingeläutet hat, fühle ich mich im Vollbesitz meiner Kräfte. Ich schaue nach… eine Erektion ist wohl doch noch nicht möglich, aber ein Handstand vielleicht. Bevor ich es schaffen kann, einen Buckel zu machen, wird die Zimmertür aufgesprengt und Schwester Sado rennt hechelnd mit einer vorsintflutlichen Eisenspritze auf mich zu. Reflexartig versuche ich, mit dem Krankenhauseinwegschlüpfer ihre Trefferfläche einzugrenzen, doch Schwester Sado zielt und versenkt professionell. Dieses Trauma ist mittlerweile 2 Stunden her und ich begucke mir den Sonnenaufgang. Noch immer habe ich keine Auskunft erhalten, was nun eigentlich in der Spritze war. Ich halte es jedoch für angemessen, nach 36 Stunden Siff endlich duschen zu gehen. […]
Die Pflaster, welche das Oberbauchgemetzel verbergen sollen, sind von Dove „Vibrant“ durchtränkt. Man rät mir, sie erneuern zu lassen. 10 Minuten später lerne ich Schwester Bruder kennen, die mich komplett desinfiziert und neue Pflaster anbringt, nachdem sie die alten zärtlichst entfernt hat. An dieser Stelle kann ich von Glück sagen, dass Schwester Sado schon Dienstschluss hat. Aha… runter zur Ambulanz zum Ultraschall soll ich. Mittlerweile bin ich mir sicher, das Ufer wechseln zu müssen, um diesen ganzen Aufguss nicht noch mal unter dem Deckmantel einer Schwangerschaft durchzumachen. Ein scheußliches Mittagessen und 19 Illustrierte später klettert die warme Abendsonne über meine Knie ins Zimmer und das Schmatzen hinter meinem Rücken wird langsam sexuell. Ich bin stolz auf mich, weil ich meinen Trolley ganz allein für meine Flucht präda… fertiggepackt habe. Der Fernseher auf unserem Zimmer empfängt leider kein Sixx. Da kommt heute nämlich der „Sex and the City“-Marathon. Stattdessen wird uns ein aufgepumpter Colin Farrell in „Miami Vice“ den Abend versüßen. Bevor es soweit ist, läuft aber noch „Familien im Brennpunkt“: der 54jährige Mario hat offenbar Stress und verliert sich im Wortgefecht mit Schwulenfrisör David (28). Faszinierenderweise hat die Regie für dieses intelligente Gipfeltreffen einen szenenbildfüllenden Statisten vorgesehen. Dieser fegt nun schon seit einer Viertelstunde den schwarz/pink glitzernden PVC-Boden der 20m² Frisurenschmiede. Im Vordergrund greift Grammatikakrobatin Sybille Frings (40) ein. Im Bett neben mir ernährt man sich derweilen von Keksen und Cola light und wundert sich, dass man noch nicht amtlich Stuhlgang hatte. Mein Handy brummt. Das Nachhaltigbemitleidetwerdendamitzumindestdasegoaufrechtgeht-Dreigestirn Begert, Magnus, Szymczak hat in bester Happy-Sickness Manier zugeschlagen. An dieser Stelle möchte ich einräumen: Ich liebe euch ganz viel! <3
Als nächstes beschließe ich, mir selbst in den Ausschnitt zu schauen. Was ich sehe sind letzte Jodrückstände, kein BH, dafür aber Strähnen lockigen KOPFhaares. Bevor ich mich noch mal in mich selbst verlieben kann, schaltet sich das Oralaquarium neben mir ein. Es klopft an der Tür und ein kreischender kleiner Blondschopf kommt hereingestürmt. Jean-Luca heißt das reizende Geschöpf und macht sich an meinem Bettgestell zu schaffen. Mit glockenheller Stimme überzeugt er mich davon, dass ich seine Mama bin und identifiziert die vor lauter Fitness fast schäumende Naschkatze im Nebenbett als seine Oma. Bevor ich für Jean-Luca Muttergefühle empfinden und mit seinem umtriebig grinsenden Vater romantische Blicke austauschen kann, versengt mir die Abendsonne die Netzhaut. Nach 20 Minuten ist der süße Spuk vorbei und der kleine Kacker wird eingepackt. Es folgt eine peinliche semi-homo Szene in „Verbotene Liebe“ und zu den Klängen von „Forbidden Love goes straight to your heart“ wird das Abendessen geliefert… Mal sehen, was Schwester Kohlekajal da gezaubert hat…
Mit schwitzigen Händen erhebe ich den schönsten Pfirsich-Marakuja Joghurt der Erde vom Esstablett und sehe mampfend, wie die Sonne abtaucht.

Skizze vom 13.10.11: